Erdbeben, Trauerkultur und die große fiesta

Da in den vergangen Wochen Einiges los war, viel passierte, Schönes und Schreckliches, werde ich hier alles der Reihe nach aufarbeiten.

Ich erinnere mich nicht mehr genau an den Tag, aber es war irgendwann in der letzten Septemberwoche an einem Wochentag, als ich um halb 12 nachts aus dem Schlaf gerissen wurde und mich wieder einmal über den Zug ärgerte, der einem hier durch sein ohrenbetäubendes Gehupe den letzten Nerv raubt. Dass man die Erderschütterungen durch den Zug ein wenig spürt, ist auch nichts Außergewöhnliches. In dieser Nacht war es aber anders: Der Zug konnte nicht hupen, weil der Zug gar nicht da war, dafür die Erderschütterungen aber so stark, dass ich mich an meinem Bettgestell am Kopf festhielt. Es dauerte maximal 15 Sekunden, aber alles wackelte und vibrierte. Nie zu vor dachte ich so sehr, dass es nun vorbei ist mit dem Leben und noch Stunden danach lag ich gefesselt im Bett, hatte Herzklopfen und riesige Angst. Es war ein Erdbeben, das sich in dieser Nacht ereignete und  mich fast zum Herzstillstand brachte. Zwar hatte ich überall die Schilder, auf denen steht, dass die Häuser erdbebensicher sind, wahrgenommen, aber leider auch voll verdrängt. Als ich mich irgendwann etwas gefangen hatte, wagte ich mich, kurz in ein anderes Zimmer zu gehen um zu schauen, was der Nachtpfleger macht. Walter saß jedoch im Schwesternzimmer, schaute fern und war anscheinend die Ruhe selbst. Das beruhigte mich, so schlimm konnte es schließlich nicht sein, dennoch brauchte ich noch einige Zeit um mich von dem Schock zu erholen. Felicitas habe ich versucht zu wecken, sie schlief aber durch und bemerkte das Beben gar nicht. Am Morgen erkundigte ich mich direkt in der Küche, wo mich die liebe Köchin Ana anlächelte und meinte, dass das ein kleines Erdbeben war und dass es noch viel stärkere gibt. Ich war beruhigt und schockiert zugleich und holte mir noch andere Meinungen ein. Resultat: Erdbeben gibt es hier häufiger und das in dieser Nacht war nur ein Kleines. Es graut mir schon vor den nächsten Erdbeben, aber immerhin werde ich sie dann einordnen können. Unser Haus erscheint mir sicher, bevor das einstürzt, stürzt hier erstmal die halbe Stadt ein.

Am Mittwochabend des 26. September waren wir noch ein bisschen im Garten, die Patienten fast alle im Bett und der Pfleger Walter fast fertig mit seiner Arbeit. Wir gestatteten ihm noch einen Besuch um etwas zu quatschen, ehe hektisch und panisch eine Frau angerannt kam und nach nach einer Schwester rief. Walter, in diesem Fall die Schwester, rannte sofort los und uns war klar: Die Mutter von Padre Carlos verstarb nach langem Krebsleiden an diesem Abend im Beisein von ihrem Sohn und ihrer Tochter. Die Mutter lebte seit einigen Tagen hier um ihre letzten Tage bei ihrer Familie zu verbringen. Auch alle 7 Geschwister von Padre Carlos waren hier. Felicitas und ich waren geschockt, als Walter uns mitteilte, dass sie verstorben sei. Wir kannten sie zwar nicht, wussten aber, dass die kommende Zeit sicher schwierig sein wird. Sowohl für den Padre als auch für uns, schließlich hatten wir keinen blassen Schimmer, wie man in Peru trauert. Wir zogen uns zurück und schrieben mit Jacky, der Sekretärin, die in Windeseile alle anderen Padres informierte, eine Traueranzeige bei Facebook starte und uns riet, ruhig zur Familie zu gehen und ihnen beizustehen. Es fiel uns schwer, wir formulierten unsere Beileidsbekundung schon vor. Gegen halb 10 trafen wir dann auf Padre Carlos und seiner Schwester, die draußen vor dem Zimmer der toten Mutter saßen. Er war den Tränen nahe, sie weinte bitterlich und zitterte. Der Padre war vor uns stark, telefonierte schon viel, es trudelten einige Menschen ein, die Beistand leisteten. Noch einmal schrecklich wurde es, als die restlichen Geschwister ankamen, in das Zimmer stürzten, schrien, weinten und nach ihrer Mutter riefen. Ich half noch dabei, den Sarg in die Kapelle zu tragen, wo am darauffolgenden Morgen die Trauerfeier stattfand. Es kamen viele Menschen, die Messe war ergreifend, vor allem, weil die tote Mutter geschminkt und aufgebahrt da lag und jeder noch Abschied nehmen konnte. Die Beerdigung fand in Cajamarca, eine Stadt in Nordperu, im Familienkreis statt. Trotz all dieser schwarzen Momente, haben wir einen ganz anderen, neuen und vielleicht nicht unbedingt schlechten, aber für mich keineswegs richtigen Umgang mit Trauer kennengelernt und hoffen, uns richtig verhalten zu haben.

In der Woche darauf, als letzte Woche, begann der Spanischunterricht. An zwei Abenden der Woche kommt Lucia, eine Dozentin an einer Universität, die mit uns Spanisch lernt. Der erste Eindruck war etwas schockierend, kam sie doch in Jogginghosen, Laufschuhen und merkwürdiger, unvorteilhafter Oberbekleidung. Wir nehmen an, dass sie vom Sport kam, weil sie Mittwochabend schon vernünftiger gekleidet war. Natürlich kommt es da auch nicht drauf an, Hauptsache ist, dass wir was lernen. Ob wir dies wirklich tun, kann ich noch nicht sagen. Sie ist motiviert, bemüht und hat auch wirklich was dahinter. Allerdings habe ich den Eindruck, dass das ganze etwas zu theorielastig wird und sie das eher so wie auf der Uni aufzieht. Abwarten, ich schreibe ja keine Klausuren.

Am Mittwochabend waren alle Mitarbeiter eingeladen, an einem Anticuchos-Stand in Chosica zu essen, um Padre Willy, ein kolumbianischer Pfarrer, der seit 2 Wochen zu Besuch ist, zu verabschieden. Viele kamen nicht, aber immerhin ein paar Pfleger und die Sekretärin. Anticuchos-Stände gibt es am großen Park in Chosica; hier isst man Kuh-/Hühnerherzen mit Kartoffeln und Mais. Die Herzen sind gegrillt und verdammt lecker; da werde ich sicherlich nochmal essen. Als Schmankerl oben drauf gab es dann noch Kuheuter. Sieht aus wie Gyros, ist lecker gewürzt und essbar, man darf allerdings nicht daran denken, was man da gerade isst.

Am Donnerstagnachmittag nach der Arbeit habe ich endlich einen Frisör aufgesucht. Der Salon sah so aus wie auf dem Foto in einem der letzten Artikel und ich gebe zu, dass ich zweifelte, ob ich da mit gutem Schnitt herausgehe. Allen Zweifeln zum Trotz, die freundliche Frisörin war professionell, verstand ihr Fach und schnitt mir die Haare sehr ordentlich, wenn auch etwas zu kurz. Aber da gehe ich das nächste Mal wieder hin, der Frau kann man vertrauen! Sie schnitt rund eine halbe Stunde wollte dafür umgerechnet vielleicht 1,30€ haben! Ein richtiges Schnäppchen.

Für Freitagabend verabredeten wir uns mit Edith und Williams, das Pärchen, das wir auf Marcahuasi kennengelernt haben. Wir wollten das Nachtleben kennen lernen, bzw. Felicitas wollte das. Ich hatte meine Zweifel, nicht wirklich Lust und bin im Nachhinein glücklich, dass wir es gemacht haben. Wir aßen erst gemütlich in einem schicken Restaurant, fuhren in Ediths Wohnung und geilten uns auf. Da ich dies nicht wirklich nötig hatte, schaute ich TV und wie es der Zufall so will, zappte ich genau in das peruanische Big Brother Pendant. Dort war die Nominierung gerade vonstatten gegangen und die Entscheidung stand an. Ich dachte gerne an die Montagabende in Deutschland, an denen ich zitternd vor der Glotze hing, lachte und mitfieberte, mich ärgerte und immer köstlich amüsierte! Trotzdem sind wir dann irgendwann los und tranken zum Aufwärmen, oder auch Vorglühen, einen Pisco Sour in einer Bar. Pisco Sour ist ein Cocktail und Perus Nationalgetränk! Geschmacklich ähnelt er sehr einem Caipirinha und eroberte meine Gunst. Auf alle Fälle hatte er vieeel Alkohol, sodass ich nach einem Cocktail gut angeheitert in die Disco ging, wo einige Biere ihr Übriges taten. Wir hatten eine tolle Stimmung, verstanden uns mit Edith  und William blendend als wären wir schon Jahre befreundet. Wir lachten viel und hatten riesigen Spass. Gegen 4 Uhr fielen wir fix und fertig, aber vergnügt in die Betten, schliefen kurz und frühstückten peruanisch. Meine Kopfschmerztabletten vergaß ich leider in Ricardo Palma und musste somit Kaffee trinken um den Tag zu überleben. Er schmecke natürlich nicht, wobei mir einfällt, dass Ana, unsere Köchin, letztens einen Harvas-Kaffee machte, der schön süß und richtig lecker ist. Harvas sind so bohnenartige kleine Dinger zum pellen. Sie schmecken nicht, der Kaffee aber umso besser. Nach dem Frühstück sind wir dann 2 Stunden nach Huaral gefahren und genossen die traumhafte Aussicht auf den pazifischen Ozean. In einem Restaurant, ein Geheimtipp von Edith, aßen wir Meerschweinchen und Hase. Beides wirklich nicht mein Geschmack, außerdem kaum was dran. Zum Glück waren sie ordentlich paniert, sodass ich fast nur die Panade aß. Nochmal werde ich das sicher nicht essen, wenn ich nicht muss, aber es gehört einfach zu Peru! Anschließend schauten wir uns noch ein Schloss am Meer an, dessen eigentlicher uriger Charakter durch schamlos viele Plakate und Attraktionen für Touristen und Besucher völlig zunichte gemacht wurde und das Ganze eher einem Playmobil-Schloss ähnelte. Abends, zurück in Lima, tranken wir noch zusammen einen Kaffee, oder, wie in meinem Fall, eine Chicha Morada und waren hundsmüde. Trotzdem ein absolut gelungenes Wochenende mit viel Spass, viel Kultur und tollen Leuten. Wir freuen uns schon auf das nächste Mal.

Am heutigen Sonntag werden wir mit den Patienten Bingo spielen. Für die Preisverleihung haben wir extra Plätzchen gebacken. Die Patienten freuen sich schon riesig drauf und die Köchin Lydia hat schon gefragt, wann wir spielen, weil sie mitspielen möchte. Montag ist hier ein Feiertag, wir wissen noch nicht, genau was wir machen. In der kommenden Woche werde ich mich mit der Botschaft auseinander setzen müssen, weil sie immer noch meinen Reisepass haben und ich nicht ohne gültiges Visum fliegen kann. Und der Flug geht schon am Samstag. Am Donnerstag rief ich schon mal bei der Botschaft an um nachzufragen, was denn Sache ist. Unfreundlich verwies man mich auf Freitag, da wären sie evtl. fertig. Habe ich Freitag natürlich auch angerufen, kommt aber nur der Anrufbeantworter, der sagt, dass sie erst Montagmorgen wieder aufhaben. Montag ist allerdings Feiertag und auf ihrer Homepage verkünden sie, dass sie da geschlossen haben. Ich fühle mich ein wenig verarscht. Ich hoffe, dass alles gut geht, denn auf den Urlaub freue ich mich schon richtig!

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